FOCUS-online-Reportage Als die Tür aufgeht, kauern 30 illegal eingereiste Flüchtlinge im Raum

FOCUS-online-Reporter Ulf Lüdeke (Eisenhüttenstadt)

Sonntag, 09.04.2023, 07:19

Brandenburg ist ein Hotspot für illegale Einwanderung. Um dem Migranten-Zustrom Herr zu werden, suchen die Verantwortlichen nach praktikablen Lösungen. Die Flüchtlingspolitik der Ampel-Regierung hilft ihnen dabei nicht. Ganz im Gegenteil.

Wer in diesen ersten, kalten Frühlingstagen über die Höfe der Erstaufnahmeunterkunft in Eisenhüttenstadt unweit der Grenze zu Polen schlendert, wird kaum etwas Ungewöhnliches entdecken. Ein paar dick eingemummelte Gestalten huschen zwischen kasernenartigen Gebäuden im Schneeflockenwirbel hin und her. Sieht alles aus nach ruhigem Alltag in Brandenburgs Zentraler Ausländerbehörde (ZABH), die hier ebenfalls ihren Sitz hat.

dpa Über Polen eingereiste Migranten in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt.

Doch wer Olaf Jansen ins Gebäude der Registrierstelle begleitet und beobachtet, wie er die Tür zum Sammelraum aufsperrt, blickt plötzlich in übermüdete Gesichter von rund 30 Flüchtlingen, die eingeschüchtert auf Bänken direkt an den Wänden kauern. "Alle heute aufgegriffen", sagt der Direktor der ZABH, nachdem er die Tür wieder verschlossen hat. "Die Bundespolizei macht hier im rückwärtigen Grenzraum an der Oder einen guten Job."

Schon bald wieder Turnhallen als Notunterkünfte?

Ulf Lüdeke / FOCUS online
Olaf Jansen, Leiter der Zentralen Ausländerbehörde (ZABH) von Brandburg in Eisenhüttenstadt.

Brandenburg ist in den letzten Jahren zu einem der Hotspots für illegale Einwanderung nach Deutschland geworden. 91.968 unerlaubt Einreisende wurden 2022 bundesweit aufgegriffen, 7419 davon in Brandenburg. Zwar ging die Zahl im Vergleich zu 2021 um rund 1000 Personen zurück. Doch im Februar 2023 stieg der Monatswert um fast 34 Prozent im Vergleich zum Vorjahr an. Und im Januar waren es mit 601 sogar fast doppelt so viele wie 2022 - und fast sechs Mal mehr als 2021.

Insgesamt hat Brandenburg im vergangenen Jahr 39.000 Flüchtlinge aufgenommen, bis zu 26.000 werden in diesem Jahr erwartet. Zusätzlich drängen immer mehr ukrainische Kriegsflüchtlinge in kommunale Unterkünfte, nachdem zunächst viele von ihnen bei hilfsbereiten Familien untergekommen waren. Immer öfter schlagen Kommunen daher jetzt Alarm und warnen vor erneuter Überbelastung. Erste Gemeinden kündigten an, dass noch im Frühjahr wieder Turnhallen zur Unterbringung bereitgestellt werden müssten, wenn nicht bald neue Lösungen gefunden würden.

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Gemeindevertreter sauer: "Absichtserklärungen reichen nicht mehr aus"

Zwar hat die rot-schwarz-grüne Landesregierung in Potsdam nach langem, heftigem Streit vor zwei Wochen ein neues Flüchtlingskonzept vorgelegt. Doch Kommunen und Landkreise ließen die Regierung von Dietmar Woidke (SPD) bei einem Krisengipfel im Innenministerium vor wenigen Tagen damit auflaufen.

Kommunalpolitiker wie Sigurd Heinze, parteiloser Vorsitzender des brandenburgischen Landkreistages, hatten sich so genannte "Landesobhuteinrichtungen" gewünscht, wie sie Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) vorgeschlagen hatte. Dort hätten Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive bis zu vier Jahre untergebracht werden sollen - mit der Option eines "Spurwechsels" Richtung Aufenthaltsrecht bei entsprechenden Qualifizierungen. Doch dieser Vorschlag war in der Koalition nicht konsensfähig.

Kritik gibt es auch an vorgeschlagenen "Beratungen" für die Schaffung neuer Plätze in Schulen und Kitas. "Absichtserklärungen reichen nicht mehr aus", so Heinze. Es fehle "konkrete Unterstützung". Bis spätestens Mai erwarten die Kommunalpolitiker neue Vorschläge von Woidkes Koalition.

Effektive Organisation in Brandenburgs Erstaufnahmeunterkünften

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Brandenburg entwickelt sich zu einem neuen Hotspot bei den aktuellen Flüchtlingsströmen. Die Erstaufnahmeunterkunft in Eisenhüttenstadt wird die Kapazitäten daher nun aufstocken.

Abgesehen von auch in Brandenburg knapper werdenden Platzkapazitäten kann sich das Flüchtlingsmanagement zwischen Erstaufnahmeunterkünften und Kommunen im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern jedoch sehen lassen. "Die Flüchtlinge werden zunächst nicht durch starre Quoten verteilt, sondern über ein Freimeldeverfahren", erläutert ZABH-Chef Jansen.

Die Gemeinden signalisierten freie Kapazitäten, die gezielt von der brandenburgischen Erstaufnahmeeinrichtung aufgefüllt würden und spezifizierten sogar den Bedarf für Migranten bestimmter Nationen. Auf diese Weise könne nationalitätenbedingten Streitigkeiten in den kommunalen Unterkünften vorgebeugt werden.

Die Abstimmung mit den Landkreisen und Kommunen laufe insgesamt vertrauensvoll und reibungslos. "Busse mit Flüchtlingen aus den Erstaufnahmeunterkünften, die in anderen Bundesländern von den Kommunen zurückgeschickt werden, weil ihre Heime belegt sind, gibt es bei uns glücklicherweise nicht, jedenfalls noch nicht", ergänzt Jansen.

"Bei uns sind keine Polizeistreifen nötig"

Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern, in denen es in der Regel mehrere Erstaufnahmeeinrichtungen gibt, hat Brandenburg nur eine Einrichtung, in der alle Geflüchteten ankommen. Dort seien Aufgaben und Kompetenzen zudem stark gebündelt und auf ein Behörden-Minimum konzentriert.

"Ordnungsbehördliche Aufgaben einerseits sowie Aufnahme, soziale Betreuung, Versorgung und Verteilung andererseits befinden sich stets am selben Ort und in einer Hand. Das Bamf ist ebenfalls vor Ort. Dadurch lassen sich Verfahrens- und Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme verkürzen und es kann im Krisenfall schnell und effizient reagiert werden."

Kinder gehen innerhalb der Einrichtung in die Kita oder in die Schule und lernen Deutsch. Darüber hinaus böte schon die Erstaufnahmeeinrichtung an ihren vier Standorten mit Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes und anderer Partner eine breite psychosoziale Betreuung an, was wesentlich zum sozialen Frieden beitrage. Jansen: "Bei uns sind keine Polizeistreifen nötig. Wir kommen mit wenig Wachpersonal aus."

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Herkunft statt Schutzbedürftigkeit: Falsche Prämissen für Bleiberecht

Was Olaf Jansen angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen indes immer mehr ärgert, sind die ungleichen Rahmenbedingungen, unter denen Migranten ins Land gelassen werden. Das Hauptproblem sei nicht die Migration an sich, die wir allein wegen des demographischen Wandels ja brauchen. "Sondern es ist die Tatsache, dass inzwischen in vielen Fällen nur noch nach Herkunftsländern entschieden wird, ob jemand Anspruch auf ein Bleiberecht hat, während die Frage nach einer individuellen Schutzbedürftigkeit bei manchen Herkunftsländern, wie zum Beispiel Syrien, Eritrea oder Afghanistan kaum mehr gestellt wird."

Fabian Sommer/dpa/Archivbild Zwei Asylsuchende sitzen auf einer Bank.

Das Ergebnis sei "ein immer stärker zunehmendes Anspruchsdenken von Schutzprivilegierten und Chancenlosigkeit aller anderen trotz evidenter Integrationsbereitschaft",so ZABH-Chef Jansen.

Als Beispiel nennt er das Afghanistan-Programm der Bundesregierung. Es bestehe der Eindruck, dass dort Personen, die gar nicht schutzbedürftig seien und auch keinen Bezug zu europäischen Hilfs- oder Regierungsorganisationen vor der Machtergreifung der Taliban hätten, es aber irgendwie geschafft haben, nach Islamabad in Pakistan und auf die Liste irgendwelcher NGO's zu kommen, eine Aufnahmezusage erhalten und von dort nach Deutschland geflogen werden.

"Statt genau zu prüfen, wer tatsächlich Schutz benötigt wie etwa Akademikerinnen, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten oder ehemalige Ortskräfte und wer nicht, werden immer öfter Menschen ohne ersichtlichen Schutzbedarf evakuiert." Wenn diese Menschen dann auch noch, wie zuletzt mehrfach vorgekommen, "vollkommene Analphabeten" seien, die auf dem hiesigen Arbeitsmarkt keine Chance hätten, dann müsse man die Frage nach dem Sinn der Maßnahme stellen, schlussfolgert der ZABH-Chef.

"Schutzbedürftige" Flüchtlinge, die von Sozialhilfe leben, fliegen regelmäßig nach Hause

Ähnliches gelte für zahlreiche Syrer, die aus sicheren Drittstaaten anreisten und oftmals aus Gebieten stammten, in denen entweder noch nie Bürgerkrieg geherrscht habe oder die heute jedenfalls befriedet seien, so der ZABH-Leiter. Auch hier könne man an der vom Bamf durchgehend unterstellten Schutzbedürftigkeit Zweifel haben, zumal es mittlerweile nicht wenige gäbe, die regelmäßig für mehrere Wochen über Beirut oder die Türkei nach Syrien reisten, obwohl sie dort doch angeblich in Lebensgefahr seien.

"Man fragt sich, auf welchen Grundlagen die Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes beruht, welche den Innenministern regelmäßig vorschreibt, dass Rückführungen nach Syrien für die Betroffenen viel zu gefährlich seien, obwohl die vielen Heimreisen von in Deutschland aufgenommenen syrischen Flüchtlingen ein ganz anders Bild vermittelten."

ZABH-Chef: Integrationsmuffel raus, Arbeitswillige rein

Neben einer genaueren Prüfung der individuellen Schutzbedürftigkeit durch den Bund sollten die Behörden zudem auch strenger mit jenen Migranten verfahren, die nicht bereit seien, sich zu integrieren. "Straftäter und Menschen, die keinerlei Integrationsbereitschaft erkennen lassen, die also trotz Arbeitsfähigkeit nicht dazu bereit sind, sich eine Beschäftigung zu suchen, sollten nur noch eingeschränkt Sozialleistungen erhalten und irgendwann auch wieder ausreisen", daran besteht für Jansen kein Zweifel.

Was die Erteilung von Arbeitserlaubnissen angeht, müssten die Verfahren jedoch stark vereinfacht werden. "Die Vermittlung von Arbeit ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration. Das funktioniert anderswo besser und vor allem schneller."

Forderung, Arbeitserlaubnis vom Asylstatus abzukoppeln

Patrick Pleul/dpa
Ein hoher Zaun umgibt die Erstaufnahme-Einrichtung in Eisenhüttenstadt.

Jansen hält es "weder für gerecht noch wirtschaftlich sinnvoll", dass zwar Vertriebene aus der Ukraine und humanitär aufgenommene Ortskräfte sofort eine Arbeitserlaubnis bekommen, Asylbewerber aber erst dann, wenn sie anerkannt sind, was bei vielen aufgrund der langen Gerichtsverfahren mehrere Jahre dauert. "Man sollte die Erlaubnis zum Arbeiten vom Asylstatus abkoppeln und stattdessen unabhängig vom Schutzstatus Chancen für diejenigen schaffen, die hier arbeiten wollen und können. Das erleichtert den Zugang zu unserem Land erheblich."

Noch immer bleibt unklar, wer die neuen Flüchtlingsströme aufnehmen soll

Was die Forderungen der Landkreise und Kommunen an die brandenburgische Landesregierung angeht, die Aufnahmekapazität der Erstaufnahmeunterkünfte kurzfristig um 3000 Plätze zu erhöhen und die maximale Bleibedauer auf bis zu 24 Monate zu verlängern, reagiert Jansen unterdessen verhalten.

Die Idee von Innenminister Stübgen zur Schaffung von zentralen Landesunterkünften außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtung halte er für die bessere Lösung. Stübgen wollte sie für Personen ohne Aussicht auf Bleiberecht einrichten mit dem zusätzlichen Ziel, integrationsbereiten Menschen durch Qualifikation und Beschäftigung die Chance auf einen "Spurwechsel" zu bieten.

"Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahmeeinrichtung liegt bei uns derzeit bei etwa drei bis vier Monaten. 5000 Plätze halten wir an unseren vier Standorten im Augenblick vor, von denen rund 2700 belegt sind. Und 1500 Plätze lassen sich kurzfristig noch zusätzlich schaffen, wenn die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden." Für weitere Plätze bräuchte die ZABH hingegen etwas mehr Zeit - und vor allem Kommunen, die bereit seien, eine entsprechende Einrichtung mitzutragen.

Tut sich nichts, könnten bald Notunterkünfte erforderlich sein

Die Forderung der Kommunen nach mehr Unterstützung von Bund und Land für die Unterbringung von Flüchtlingen und stärkere Investitionen in Kitas, Schulen und soziale Infrastruktur kann Olaf Jansen jedenfalls gut nachvollziehen.

Im Frühjahr rechnet der Chef von Brandenburgs Zentraler Ausländerbehörde noch nicht mit der Einrichtung von neuen Notunterkünften. "Wenn sich aber bis zum Sommer nichts tut, dann könnte sich das ändern."

Spätestens im Mai, wenn der nächste Flüchtlings-Gipfel zwischen Gemeinden und Landesregierung stattfinden soll, dürfte sich entscheiden, ob sich die Flüchtlingssituation erneut verschärft oder nicht. Bis dahin müssen konkrete Maßnahmen ergriffen werden.


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