FOCUS-online-Autorin Elisabeth Hussendörfer
Mittwoch, 31.05.2023, 08:12
FOCUS online: Nach 30 Jahren bei den Grünen sind Sie aus der Partei ausgetreten. Was ist ihr Hauptkritikpunkt?
Anne Lück: Die Grünen haben ihre Werte verraten. Sie sind eine Partei der fehlenden Transparenz, der fehlenden Nähe zu den Menschen geworden und -
Beim Ukrainekrieg wird nicht auf Verhandlungen gesetzt, sondern auf immer schwerere Waffen.
Ich kann nicht fassen, dass Vertreter einer Partei, die aus der Umwelt- und Friedensbewegung entstanden ist, das ukrainische Volk diesem Risiko aussetzen! Mehr noch, unsere grüne Außenministerin will die nukleare Teilhabe. Das muss man sich mal vorstellen. Die Atomuhr steht ja so schon kurz vor zwölf...
Mit Annalena Baerbock scheinen Sie sich besonders schwer zu tun?
In vielfacher Hinsicht, ja.
Was haben Sie getan?
Dem Kanzler geschrieben. Habe ich irgendetwas nicht mitbekommen? Hat Annalena Baerbock jetzt die Kanzlerschaft übernommen, dass sie Russland den Krieg erklärt? Baerbock sagt leider ziemlich oft Dinge, die sehr unüberlegt sind. Dabei sollte der Anspruch an das Außenministerium zuallererst diplomatisches Geschick sein. Wir dürfen nicht vergessen: Annalena Baerbock ist die Chefdiplomatin unseres Landes. So jemand sollte nicht anheizen. Jedes kriegerische Auftreten ist fehl am Platz, denn dadurch geschieht das Gegenteil von Deeskalation. Sie sagt, was ihre Wähler denken, sei für sie sekundär. Wichtig sei ihr die Ukraine. Aber müsste sie dann nicht in erster Linie durch Verhandlungen den Krieg und damit das furchtbare Elend beenden wollen?
Gab es eigentlich einen konkreten Anlass für ihren Austritt?
Es gab immer wieder neue Anlässe, eines kam zum anderen.
Aktuell stehen die Grünen vor allem wegen ihrer Energiepolitik in der Kritik. Was sagen Sie?
Keine Frage, Klimaschutz ist das Gebot der Stunde. Deutschland muss sich auf den Weg machen. Aber bitte geordnet. Da passiert viel zu viel auf einmal im Moment und das, was passiert, versteht kein Mensch. Ich spreche da übrigens ganz konkret aus der eigenen Erfahrung: im Winter ist meine Gasheizung kaputt gegangen. Natürlich habe auch ich mir Gedanken über eine Wärmepumpe gemacht. Aber es war nicht möglich, eine Firma zu bekommen, die diese liefert. Ich hätte ein Dreivierteljahr warten müssen.
Hätte? Haben Sie sich also gegen eine solche Wärmepumpe entschieden?
Ja. Es war ja kalt. Ich hatte vorher mit Gas geheizt und habe jetzt wieder eine moderne Gasheizung, die bei Bedarf mit Solarthermie verbunden werden kann. Von den Handwerkern, die bei mir waren, erfuhr ich, dass die Wärmepumpe in Niedersachsen in der Gesellenausbildung bislang noch nicht mal vorkommt. Erst in der Meisterausbildung wird das wohl Thema. Eine Politik, die vorgibt, eine Transformation in Sachen Energienutzung zu wollen und die nicht mal im Ansatz die notwendigen Bedingungen dafür schafft, ist unglaubwürdig.
In den nordischen Ländern soll das Heizen mit Wärmepumpen teilweise schon selbstverständlich sein.
Ja, da ist man schon viel weiter. Bei uns macht die Politik den zweiten und dritten Schritt vor dem ersten und das alles am Bürger vorbei. Eine Broschüre oder zumindest eine schriftliche Information an alle Haushalte wäre schon schön gewesen. In Zeiten wie diesen muss die Politik die Menschen mehr mitnehmen. Erst Corona, dann der Krieg und natürlich das Klima... Viele sind derzeit von großen Ängsten getrieben...
Das klingt, als fehle es nicht nur an Information, sondern auch an Empathie.
Sie sagen es. Es wird mit Fachbegriffen und Fakten um sich geworfen, aber seien wir ehrlich: Die Energiewende ist auch ein sehr emotionales Thema. Ein warmes Zuhause gibt Sicherheit. Menschen, die Angst vor der Zukunft haben, brauchen sie mehr denn je. Ich kann nicht verstehen, wie meine frühere Partei ein Thema, das so viel mit Häuslichkeit zu tun hat, so nüchtern behandelt. Druck und womöglich noch Strafandrohungen sind für mich generell und erst recht in der jetzigen Zeit völlig fehl am Platz! Dass die Umfragewerte für die Grünen immer weiter in den Keller gehen, ist angesichts der Verunsicherung mehr als verständlich.
Wie reagieren Sie auf den Druck?
Druck ist schwer auszuhalten. Aber wenn eine Partei Unsicherheitsgefühle noch verstärkt, ist das besonders schlimm. Ich nehme den Grünen auch die Gaspolitik übel. Wir brauchen Putins Gas nicht - wie konnten meine Parteikolleginnen und -kollegen in Berlin das so überzeugt sagen? Wir brauchen Gas für den Übergang. Stattdessen jetzt auf das viel teurere Flüssiggas mit langfristigen Verträgen umzusteigen, ist fatal.
Als ob das ernsthaft eine Alternative sein könnte, wo wir doch so schnell wie möglich die alternativen Energien ausbauen müssen. Flüssiggas ist ein riesiges Umweltproblem, das ist seit langem bekannt, sowohl bei der Förderung (Fracking) als auch bei der Umwandlung in Gas in LNG-Terminals Die Gefahr des Frackings wurde vor nicht allzu langer Zeit von den Grünen ausführlich thematisiert...
... und jetzt?
Ich höre von den Grünen nichts mehr zu diesem Thema. Leider scheinen wirtschaftliche Belange für die Partei inzwischen wichtiger als Grundsatzüberzeugungen. Neue Abhängigkeiten werden billigend in Kauf genommen -
Aber die Zeiten haben sich geändert. Selbst der bekennende Pazifist Franz Alt hat kürzlich in einer Talkshow die Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet.
Das mag sein. Aber er hat den Aufruf zum Frieden unterschrieben. Worüber es meiner Meinung nach keine Diskussion geben darf: eine Friedenspartei muss immer und unter allen Umständen bereit zum Dialog bleiben. Jede noch so kleine Chance für eine positive Wendung des Konflikts muss gesehen werden. Schon ziemlich zu Beginn des Krieges war zu hören, dass russische Dirigenten nicht mehr auftreten sollen. Russische Literatur und Musik verlieren in unserm Land ihren Wert - was soll die Abkehr von russischer Kultur? Will ich mir denn ernsthaft einreden lassen, dass alle Russen böse Menschen sind und das, was von ihnen kommt, ungut? Und die Grünen gehen ja noch weiter. Auch ich stehe in den Augen eines führenden Parteivertreters neuerdings auf der falschen Seite, bin - überspitzt gesagt - eine Verräterin.
Das müssen Sie bitte erklären.
Aber ist das nicht eine Einzelmeinung, die Anton Hofreiter da kundtut?
Leider nicht. Claudia Roth hat vor einiger Zeit gemeint, wir wären nie eine Friedenspartei gewesen. Ein weiterer Grund, der Partei den Rücken zu kehren. Meine Austrittserklärung habe ich zusammen mit einem Abschiedsbrief dem Geschäftsführer der Oldenburger Grünen persönlich überreicht. Für mich ein schwerer emotionaler Schritt. Das war Anfang Februar. Danach sind immer wieder Dinge passiert, die meinen Entschluss bestätigt haben.
Was zum Beispiel?
Ach, da könnte ich viel erzählen. Annalena Baerbocks wenig diplomatische Auftritte gehen ja munter weiter. Besonders schlimm fand ich ihr überhebliches Auftreten in China. Innenpolitisch störe ich mich zuletzt am Auftritt von Robert Habeck. Es wirkt unglaubwürdig, wenn Politiker gebetsmühlenartig wiederholen, keiner müsse sich Sorgen machen, wir würden unterstützt werden.
Ist das denn so?